Szene aus »Wie "Holocaust" ins Fernsehen kam« © WDR

TV-Tipp 14./16.1.: Wie eine US-Serie den Deutschen beim Erinnern half

Selten so relevant war das deutsche Fernsehen im Jahre 1979. Versteckt in den Dritten Programmen – schuld daran war der Mediensturm vor der Ausstrahlung – sendeten die ARD-Sender an vier Tagen eine amerikanische TV-Serie namens »Holocaust«. Es war, 34 Jahre nachdem das Morden der Nazis durch die Alliierten beendet werden konnte, eine Art zweite Befreiung. Diesmal wurden die Deutschen von der Verdrängung erlöst, die sie bis dahin umgeben hatte. Nun gab es nichts mehr zu Leugnen am Judenmord. Alice Agneskirchners Dokumentarfilm »Wie “Holocaust” ins Fernsehen kam«, zeigt, dass die Ausstrahlung, heute als kollektives Ereignis des Aufwachens empfunden, beinahe an Verdrängungskräften gescheitert wäre.

WDR, 14.1.19, 22:10 Uhr, und SWR, 16.1.19, 23:30 Uhr:
»Wie “Holocaust” ins Fernsehen kam«

Außerdem derzeit wöchentlich bei WDR, SWR und NDR:
Neuausstrahlung aller vier Folgen von »Holocaust«

Das Ereignis, von dem es hier zu berichten gibt, fand statt drei Jahre nach der Premiere eines der besten Filme, den Hollywood jemals hervorgebracht hat. 1976 veröffentlichte Sidney Lumet eine bitterböse Satire auf das Fernseh-Business. In »Network« wurde gelogen, intrigiert, gevögelt und am Ende sogar ein Moderator von gefakten Terroristen »entlassen«. Das Fernsehen konnte also bereits alles, was es auch heute noch kann. Nur sich einen US-Präsidentschafts-Scheindarsteller auszudenken, dazu reichte nicht einmal die hundsgemeine Fantasie des Sidney Lumet.

Das Fernsehen in den Siebziger Jahren: in den USA war es längst zum beherrschenden Massenmedium gereift. In Deutschland – man befand sich noch vor dem Privat-TV-Schock und das Schmuddeligste im deutschen TV war so etwas wie ein Moderator mit offenem Hemdkragen – hatte das Fernsehen eine andere Aufgabe. Es war der Kitt für eine Gesellschaft, die sich nach Hippieschock und Deutschem Herbst wenigstens bei den großen Fernsehshows von Kulenkampff, Rosenthal und Rudi Carrell die Gewissheit holen konnte, dass alles so blieb, wie es immer schon war.

Was früher einmal wirklich war – das hatte man allerdings in Wirklichkeit ganz vergessen und dabei sogar erfolgreich vergessen, dass man es überhaupt je gewusst hatte.

Tausendfacher Druck auf den Sender: der WDR hielt dagegen

Das große Vergessen endete 1979. Die Geschichte der fiktiven jüdischen Familie Weiss, die in vier TV-Folgen exemplarisch nachspielte, was zuvor sechsmillionenfach in natura geschehen war, erschütterte ein ganzes Land. 70 Prozent der Deutschen sahen sich die in den Dritten Programmen ausgestrahlten Episoden der amerikanischen Dramaserie »Holocaust« an. Sie litten, hofften, heulten, verzweifelten. Obwohl schon in der ersten Folge klar wurde, wohin das führen wurde, konnten Millionen von Zuschauern ihre Augen nicht mehr abwenden von dem, was kommen würde. Als schließlich auf das Fallen der nackten Körper – nachgespielt im KZ Mauthausen – das Fernsehbild schwarz wurde, hinterließ es eine tief geschockte Nation, der ihre eigene Verantwortung für die Geschichte vor Augen geführt worden war.

Von nun hieß es nicht mehr nur »Wo warst Du vor 45?«. Nun hieß auch: »Wo warst Du 1979, als “Holocaust” lief?«.

In 45 viel zu kurzen Minuten erzählt die Filmemacherin Alice Agneskirchner (zuletzt noch mit »Auf der Jagd« im Kino), gegen welche Widerstände überhaupt die »amerikanische Seifenoper« ins deutsche Fernsehen gedrückt werden musste. In »Wie “Holocaust” ins Fernsehen kam« holt sie gealterte WDR-Kämpfer wie den damaligen Fernsehchef Günther Rohrbach noch einmal vor die Kamera. Der Kulturkampf, den er und seine Mitstreiter fochten, ist bis heute in ordnerfüllenden Hassbriefen und Telefonnotizen festgehalten. Es schaudert einen bei der Vorstellung, es hätte damals schon die Hassschleudern der Sozialen Netzwerke gegeben. Aber der WDR, ja die ganze ARD blieben standhaft. Die Serie wurde ausgestrahlt – komplett in allen Dritten Programmen.

»Holocaust« zeigte 34 Jahre nach dem Kriegsende, was bis dahin vergessen schien. In den vier Jahrzehnten, die seither vergangenen sind, sind die Verbrechen, die im Namen des deutschen Volkes an Abermillionen begangen wurden, heute jedem bewusst. Daran hatte diese kleine, filmisch eher irrelevante Dramaserie einen großen Anteil. In einem muss man den Kritikern von damals aber recht geben: »Holocaust« war eine Soap Opera. Aber manchmal hilft gegen Vogelschiss einfach nur süßlich duftende Seife.

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Picture of Thomas Schneider
„Ich liebe Print, ich liebe Online, ich liebe es, das Beste zwischen beiden Welten zu vereinen“, sagte Thomas Schneider über seine Arbeit. Ab 2009 war er für das HDF im Bereich Redaktion sowie PR/Marketing tätig. 2019 verstarb Schneider überraschend und viel zu früh.
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