Meilensteine (2): Amsterdam Global Village

»Ich habe immer gedacht, dass das Leben aus 777 Geschichten auf einmal besteht« – ein Zitat von Bert Schierbeek, das Johan van der Keuken als Motto für seinen vierstündigen Dokumentarfilm »Amsterdam Global Village« ausgewählt hat. Der Film porträtiert Amsterdam, die multikulturelle Stadt im Herzen Europas, als Symbol unseres Kontinents am Jahrhundertende.

»Amsterdam Global Village« ist nicht nur ein Film über das tolerante Amsterdam, das vielen Zuflucht bietet, es ist auch eine hervorragende Hommage an van der Keukens Heimatstadt, zugleich ein Reiseabenteuer mit einer Kamera, die in weit entfernte Länder reist, aus denen die zugewanderten Ams­terdamer ursprünglich stammen. Der Filmemacher ein leidenschaftlich Reisender, sein Kamerablick spielerisch und zutiefst subjektiv.

Ein Schlüsselbild des Films ist die frontale Gesichtsaufnahme des Mopedkuriers Khalid beim Fahren durch die Stadt – der Kopf des Gefilmten bleibt starr, während die Umwelt an ihm vorbeizeiht. Die Darstellung Khalids entfaltet sich zwischen den Polen der steten, beruflichen Dynamik und privatem Stillstand: Das Abhängen mit Freunden, das Kiffen, die Anspruchslosigkeit im Hinblick auf die Zukunft stehen im Gegensatz zur permanenten Raserei durch die Stadt, die doch nur einem »Auf-der-Stelle -Treten« gleicht. Bewegung als Grundmotiv findet sich in der Konstruktion von Aufbruch, Reise und Wiederkehr auch im Film »De grote Vakantie« (Die großen Ferien, 1999), der noch grundsätzlicher von dem Gegensatz Stillstand und Bewegung durchzogen ist. Dem nahen Krebstod des Filmemachers wird die Flucht ins Reisen, ins Tun, ins Filmen entgegengesetzt. Der finale Stillstand soll durch Dynamik besiegt werden.

Johan van der Keukens Filme sind Versuche einer Annäherung an die Welt, und im Gegensatz zu den postulierten Gewissheiten der professionellen Wahrheitsmacher der Nachrichten oder des die Welt erklärenden Dokumentarfilms, lässt er in seinen Kompositionen Raum für den Zweifel des Individuums, sei es der Betrachter oder der Filmautor selbst.

»Es geht nicht darum zu zeigen, dass etwas so oder so ist. Es geht darum zu zeigen, wie es ist, in einem bestimmten Raum zu sein, wie es sich anfühlt, ein bestimmter Raum zu sein.« Ein Zitat von Johan van der Keuken in seiner Veröffentlichung »Abenteuer eines Auges« (Basel 1992). Unter gleichem Titel fand im Dezember 1997 ein Workshop mit dem Filmemacher im Haus des Dokumentarfilms statt.

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Anita Bindner war Archivleiterin im Haus des Dokumentarfilms.
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