Nina Gladitz versus Leni Riefenstahl

 Für Viele gehört Leni Riefenstahl noch immer zu den erfolgreichsten Regisseuren des „Dritten Reiches“. Zahlreiche Bücher sind über sie erschienen. Nina Gladitz gelingt in ihrem neuen Buch „Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin“ ein ganz neuer, kritischer Blick auf die Filmemacherin. 

Leni Riefenstahl neu perspektiviert: im Buch und im Film

In ihrem Buch „Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin“, für das sie jahrzehntelang akribisch in Archiven recherchiert hat, will Nina Gladitz erklärtermaßen die Ikone vom Sockel stoßen und den Mythos Riefenstahl zerstören. Parallel greift der neue Dokumentarfilm „Leni Riefenstahl. Das Ende eines Mythos“ von Michael Kloft die neuen Erkenntnisse der Autorin auf. Die Doku ist noch bis zum 19.01.2021 in der arte Mediathek zu sehen. – Wie können wir heute auf die Regisseur-Legende zurückblicken? Kay Hoffmann vom Haus des Dokumentarfilms hat sich mit Gladitz‘ neuem Buch auseinandergesetzt.

Leni Riefenstahl – Regisseurin des „Dritten Reiches“

Allgemein bekannt ist, dass Leni Riefenstahl gerne das Talent anderer Menschen, wie jenes ihrer Kameramänner, ausgenutzt hat, um ihren Ruf als Genie zu festigen und sich mit fremden Federn zu schmücken. Ebenfalls kein Geheimnis ist, dass sie vom NS-Regime unter Adolf Hitler persönlich protegiert wurde und hauptsächlich ihnen die Karriere als junge Filmemacherin verdankt. Vorher war sie Tänzerin und Schauspielerin in Bergfilmen. Bei ihrem ersten Auftrag 1933, den NSDAP-Reichsparteitag im Film „Der Sieg des Glaubens“ zu dokumentieren, war sie gerade 31 Jahre alt. Ihre berühmtesten NS-Propagandafilme wurden „Triumph des Willens“ sowie ihre beiden Filme zu Sommerolympiade 1936. Dafür erhielt sie zahlreiche internationale Auszeichnungen.

Nina Gladitz bricht mit der Regisseurin

Gladitz jedoch fällt ein vernichtendes Urteil: „Sie konnte nur die Wirklichkeit der Nazis darstellen, nicht aber die Wahrheit, die im Dokumentarfilm immer zur Realität gehört. Schon aus diesem Grunde muss man ihr das Lob, Dokumentarfilme gemacht zu haben, grundsätzlich verweigern“ (S. 116). Riefenstahl war eine begabte Organisatorin ihres Teams und der Montage, beanspruchte den Ruhm aber immer für sich allein. Nina Gladitz weist nach, dass ihr Ruhm auf kaltblütiger Ausbeutung von anderen basiert. Sie zeichnet das Bild einer skrupellosen Frau, der jedes Mittel recht ist, Karriere zu machen. So gelang es Leni Riefenstahl, beim Spielfilm „Das blaue Licht“ (1932) von der Mitarbeiterin des jüdischen Regisseurs Bela Balázs zur Alleinregisseurin aufzusteigen. Viele bezeichnen diesen Film fälschlicherweise als ihr Regiedebüt. Gladitz macht solche Intrigen an zwei weiteren ausführlichen Fallstudien fest.

Willy Zielke – Riefenstahls ernstzunehmender Rivale?

Portait von Willy Zielke - Rivale Leni Riefenstahl 1930er Jahre
Selbstporträt von Willy Zielke, Anfang der 1930er Jahre. (Foto: Galerie Berinson, Berlin)

Auch in Willy Zielke sah Riefenstahl einen Rivalen. Er galt als ein sehr talentierter Fotograf und Filmemacher. Nina Gladitz vermutet, dass Riefenstahl ihn als ernstzunehmenden Konkurrenten fürchtete und seine Karriere deshalb systematisch zerstörte. Sie liefert überzeugende Indizien, gesteht aber ein, dass dafür letztlich finale Beweise fehlen würden. Was die Autorin aber auf jeden Fall nachweisen kann, ist, dass Zielkes epochaler Film zum 100-jährigen Bestehen der Eisenbahn „Das Stahltier“ im Auftrag der Reichsbahn, nicht vom Auftraggeber verboten wurde, sondern von Julius Streicher. Er wird dafür von Goebbels zur Ordnung gerufen.

Willy Zielke als Marionette Riefenstahls

Riefenstahl nutzte Zielke aber gerne für ihre eigenen Projekte aus, wie den meisterhaft gedrehten Prolog ihres Olympiafilms. Danach wird er nach einem Nervenzusammenbruch behandelt und schließlich in die psychiatrische Anstalt Haar eingeliefert. Riefenstahl war zumindest gut über ihn informiert und versuchte ihn immer wieder herauszuholen, wenn sie ihn für ein Filmprojekt benötigte. Neben den ausführlichen Memoiren von Zielke hat Nina Gladitz nach langem Suchen seine Krankenakte gefunden, die seine Schilderungen bestätigen und zeigen, dass die Diagnose Schizophrenie falsch war. Er wurde sterilisiert und entmündigt und konnte deshalb nicht mehr selbstständig handeln. Riefenstahl hat ihn in der Stabliste nicht genannt und hat seine Fotos aus dem Prolog als ihre eigenen ausgegeben.

Missbrauch von Sinti und Roma für „Tiefland“

In ihrem Dokumentarfilm „Zeit des Schweigens und der Dunkelheit“ für den WDR hatte Nina Gladitz schon 1982 nachgewiesen, dass Riefenstahl 1941 für ihren Propagandafilm „Tiefland“ 120 Sinti und Roma aus dem Lager Maxglan bei Salzburg und später 67 Statisten aus dem Lager Berlin-Marzahn für die Dreharbeiten in Babelsberg 1942 persönlich ausgesucht hatte – unter dem Versprechen, dass ihnen das KZ erspart bliebe. Gegen diese Behauptung klagte Riefenstahl 1984, verlor aber nach dreijährigem Prozess weitestgehend. In ihrem aktuellen Buch „Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin“ liefert Gladitz ausführliche Details und Biografien dieser Komparsen, die überwiegend in Konzentrationslagern starben.

Gerichtsprozess Leni Riefenstahl vs. Nina Gladitz
Leni Riefenstahl beim Prozess gegen Nina Gladitz. (Foto: Marlies Decker, Baden-Württemberg, Landesarchiv Freiburg)
Leni Riefenstahl Dreharbeiten "Triumph des Willens"
Riefenstahl 1934 bei den Dreharbeiten zu “Triumph des Willens”. (Foto: Keystone Press /Alamy Stock Foto)

Gladitz resümiert: Riefenstahl als Täterin

Diese Beispiele machen Riefenstahl für Nina Gladitz zu einer Täterin des „Dritten Reiches“. Für Gladitz ist „Tiefland“ trotz eines radikalen Umschnitts durch Riefenstahl bei der Premiere 1954 ein antisemitisches Machwerk, was nicht alle so sehen. Darüber hinaus weist sie Ungereimtheiten in Riefenstahls Biografie nach, wirft ihr Morphium- und Alkoholsucht vor und macht deutlich, dass sie ihre exzessiven erotischen Beziehungen zu Männern und Frauen aus rein taktischen Gründen einging. In der Schweiz soll sie ein Millionen schweres Konto angelegt haben. In solchen Passagen wirkt das Buch wie eine provokative Kolportage und eine persönliche Abrechnung.

„Leni Riefenstahl. Die Karriere einer Täterin“ als Fundamentalkritik

In ihrem Buch geht Gladitz hart ins Gericht: Nicht nur mit Leni Riefenstahl, sondern ebenso mit Filmhistorikern, die nicht richtig recherchiert und Riefenstahl in ihren Veröffentlichungen zu einem Nachruhm verholfen hätten. Im Gegensatz dazu sei Willy Zielke in Vergessenheit geraten. Kritisch sieht sie ebenso Feministinnen, die Riefenstahl ob ihrer Karriere als Frau loben und gegen Angriffe schützten. Im Schlusskapitel kritisiert sie alle, die Riefenstahl anders sehen als sie selbst. Das Buch liest sich flüssig, wird aber wegen seiner radikalen Thesen auch für reichlich Kontroversen sorgen.

(Kay Hoffmann)

Buch: Nina Gladitz: „Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin“. Orell Füssli: Zürich 2020. 25.- €