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Nordische Filmtage Lübeck: Skandinavische Bilder und Gefühle

Die gerade zu Ende gegangenen Nordischen Filmtage Lübeck sind das einzige Festival in Deutschland und in Europa, das sich ganz auf die Präsentation von Filmen aus den nordischen Ländern, dem Baltikum und Norddeutschland spezialisiert hat. Es fand in diesem Jahr zum 59. Mal statt und die beiden Festivalmacher Linde Fröhlich und Florian Vollmers konnten sich wieder über volle Kinos freuen. Bei einigen Vorführungen hatte man nicht die geringste Chance, eine Karte zu ergattern. Was kann man Besseres sagen über ein Festival? Wir haben weitere Eindrücke der Filmtage gesammelt.

 

Interaktive Virtual-Reality-Installation bei den Nordischen Filmtagen Lübeck 2017

Selbst, wenn bei den Preisen in insgesamt acht Kategorien und einem Preisgelt von 40.500 Euro eindeutig der Spielfilm dominiert, gibt es in Lübeck immer auch ein vielfältiges Programm mit Dutzenden Dokumentarfilmen zu sehen. Um den mit 2500 Euro dotierten Dokumentarfilmpreis der Lübecker Gewerkschaften konkurrierten 17 Produktionen. Damit ausgezeichnet werden gesellschaftspolitisch besonders engagierte Filme. Gewinnerin war letztlich die Finnin Elina Hirvonens für ihren hoch aktuellen Film „Siedepunkt“, der eindrücklich zeigt, wie die Flüchtlingskrise das gesellschaftliche Klima in Finnland verändert hat. Denn die Kämpfe der Gegner und Befürworter einer Zuwanderung spalten die Gesellschaft regelrecht.

In diesem Jahr war Finnland Gastland und wurde im Programm entsprechend gewürdigt. Als Event lief in der Museumskirche St. Katharinen die frisch restaurierte Fassung des Imagefilms »Finlandia« aus dem Jahr 1922 mit Live-Musik. Der Film, entstanden kurz nach der Unabhängigkeit im Auftrag des Außenministeriums, präsentiert die sechs Themen Wirtschaft, Städte, Sport, Militär, Landwirtschaft und natürlich Natur in beeindruckenden Bildern, wohl auch um den Tourismus und die Wirtschaft anzukurbeln und dem Ausland einen Eindruck von Finnland zu vermitteln. Einem ähnlichen Ziel dient die 360-Grad Produktion „100 Jahre Finnland“, die im Full Dome Kino lief – diesmal mitten in der Stadt.

Das Naturspektakel »Der magische See« von Marko Röhr und Kim Saarniluoto zeigt die Faszination der finnischen Seen und ihrer Fauna und Flora. Er lief in Lübeck als Open-Air-Aufführung. Der Erzähler stellt immer wieder eine Verbindung her zwischen der Natur und finnischen Mythen. Unterlegt sind die spektakulären Bilder und Unterwasseraufnahmen mit einem aufwändigen Orchesterscore von Panu Aaltio. Sehr vergleichbar und zum Teil mit ähnlichem Team entstand »Life in Four Elements« von Nathalie Halla als finnisch-spanisch-österreichische Koproduktion. Es geht um die vier Grundelemente Feuer, Wasser, Erde und Luft und wie Menschen in Extremsituationen damit umgehen. Porträtiert werden ein österreichischer Höhlenforscher und ein Basejumper – Bruder der Regisseurin –, eine finnische Freitaucherin und ein spanischer Feuerwehrmann. Die Musik stammt von dem 15-jährigen Kompositionstalent Michael Andreas Haeringer, der von Panu Aaltio unterstützt wurde.

Szene aus »Die letzten Robbenjäger« © Trude Berge Ottersen / Gry Elisabeth Mortensen

Szene aus »Die letzten Robbenjäger« © Trude Berge Ottersen / Gry Elisabeth Mortensen

Sehenswert: »Die letzten Robbenjäger«

Zu den stärksten Dokumentarfilmen in Lübeck gehörte für mich »Die letzten Robbenjäger« von Trude Berge Ottersen und Gry Elisabeth Mortensen aus Norwegen. Sie begleiten mit der Kamera die Fahrt eines Trawlers auf seiner Jagd nach Robben. Trotz EU-Verbot und gestrichenen Subventionen stechen ein alter Skipper und seine Mannschaft, die zum Teil aus Frischlingen besteht, noch einmal ins Nordmeer. Es ist eines der letzte Boote, die diese inzwischen umstrittene Tradition aufrecht erhält. Das Zerlegen an Bord wird in seiner ganzen Brutalität gezeigt, selbst wenn ein norwegischer Inspektor es kontrolliert und auf die Einhaltung der Fangquote achtet. Der Film besticht durch seine spektakulären Bilder von Trude Berge Ottersen, ob nun das Boot in einen richtigen Sturm kommt oder die Maschine aussetzt und die Gefahr besteht, dass das Boot im Eis festsitzen könnte. Letztlich sind selbst die Jäger inzwischen ernüchtert über ihr eigenes Tun.

Mit einer Frau an Bord beschäftigt sich »Dóra – Eine von den Jungs« von Árni Gunnarsen aus Island. Aber es ist leider eher eine Reportage mit langen Interviews mit Dóra, die allein aus wirtschaftlicher Not als Köchin anheuert und nun wochenlang von ihrer Familie getrennt ist.

Selbst Kinder lernen alte Traditionen des Fischfangs. So lernt die 9-jährige Ylva im Norden Norwegens, dem arktischen Winterkabeljau die Zungen heraus zu schneiden. Der Film «Zungenschneider« von Solveig Melkeraaen zeigt diesen Lernprozess in mit großer Nähe.

Szene aus »Werner Nekes – Das Leben zwischen den Bildern« © Ulrike Pfeiffer

Szene aus »Werner Nekes – Das Leben zwischen den Bildern« © Ulrike Pfeiffer

Filmisches Denkmal für Werner Nekes

Der Filmemacher Werner Nekes war ein leidenschaftlicher Sammler von optischen Spielzeug und erforschte die Frühgeschichte der Wahrnehmung. In seinen Filmen versuchte er oft, seine historischen Erkenntnisse bildlich umzusetzen. Mit ihrem Film »Werner Nekes –Das Leben zwischen den Bildern« setzt Ulrike Pfeiffer dem in diesem Jahr Verstorbenen ein filmisches Denkmal. Es ist ein gelungenes Porträt und sie interviewt zahlreiche Wegbegleiter des Kollegen. Es ist daraus eine spannende Reflexion über Film und Wahrnehmung geworden, die jeder Cineast gesehen haben sollte. Der Film startet am 9. November in den deutschen Kinos.

Noch bis April 2018 müssen die Fans der Punk-Band »Feine Sahne Fischfilet« warten, bis der Dokumentarfilm »Wildes Herz« von Charly Hübner und Sebastian Schultz über diese Band ins Kino kommt. Die Band engagiert sich gegen Rechtsradikalismus und ist auf den großen Bühnen zu Hause. Die beiden Regisseure haben sie drei Jahre begleitet. Entstanden ist ein pralles, sehr persönliches Porträt eines leidenschaftlichen Aktivisten und seiner Band.

Während der Nordischen Filmtage fand auch wieder das Lübeck Film Studies Colloquium statt, bei dem sich Film- und Medienwissenschaftler trafen, die zum skandinavischen Film arbeiten. Schwerpunktthema waren diesmal das Kino von Migranten und Klischees über Ausländer, die Praxis von Archiven mit historischem Material und aktuelle Dramen und Serien im Fernsehen. Ein Teil der dort diskutierten Filme wurden dann in der Retrospektive des Festivals gezeigt wie Peter Nestlers TV-Produktion »Ausländer II. Roma«.

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Picture of Kay Hoffmann
Dr. Kay Hoffmann war langjähriger Studienleiter Wissenschaft im HDF und Gesamtkoordinator des DFG-Projekts „Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland 1945-2005“. Zusätzlich ist er seit langem Kurator der DOK Premieren in Ludwigsburg.
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